Entfaltung statt «Fortschritt»
Der Mensch ist zuallererst ein Hörender und erst in zweiter Instanz ein Sehender. Doch was der Mensch als hörende Seele erfährt, ist zu allen Zeiten immer wieder in Misskredit gebracht worden – «Gnostizismus» schimpfte und schimpft die Kirche auf alles, was nicht auf ihrem dogmatischen Mist gewachsen ist, «Esoterik» schimpft die Wissenschaft noch immer, obwohl ihre Koryphäen wie Werner Heisenberg oder Max Planck, ja sogar der Erzphysiker Newton und der Relativist Einstein auch ganz andere Töne angeschlagen haben. Das «Weltbild» der Wissenschaft kennt nur die äussere Sichtbarkeit, für die innere Wahrheitskompetenz der menschlichen Seele hat sie kein Musikgehör. Sie macht den Menschen als blosser Augenmensch damit zu einer «halben Portion». Das ist nicht gut – für niemanden.
Der poetische Text von Kurt Wolff betont die «fehlende Hälfte» im heutigen Menschenbild und ist deshalb ein kapitaler und fundamentaler Beitrag zur Wiederherstellung des Menschen als Ganzheit. Das ist das eine Wichtigste. Das andere ist die die Schwester des Fortschritts – die Entfaltung.
Der wesentliche Unterschied zwischen Entfaltung und «Fortschritt» besteht darin, dass der «Fortsc hritt» hinter sich ständig alle Brücken abbricht, während die Entfaltung immer auf dem Anfang beruht und aus diesem lebt. Kurt Wolff hat das erkannt und wunderbar zur Sprache gebracht.
Wer Ohren hat,
höre.
Wer Augen hat,
höre und sehe,
Wer Hände hat,
höre und sehe und tue.
Wer Füsse hat,
höre und sehe und tue und gehe.
Wer einen Mund hat,
höre und sehe und tue und gehe und rede.
Und schweige
Und schweige
Und schweige –
Und höre!